Meilensteine Wörgl - Silvio Gesell
Gemeinde: Wörgl
Zeitkategorie: --
Chronik:
Am 17. März 1862 wurde Silvio Gesell als siebtes Kind der Lehrerin Mathilde Gesell-Talbot und des Rentmeisters Ernst Gesell in St. Vith, rund 70 Kilometer nordwestlich von Trier, im heutigen Belgien, geboren. Hier verbrachte er seine Kindheit im Kreis der acht Geschwister.
Mit 16 Jahren ging Silvio Gesell kurzzeitig zur Deutschen Reichspost, erwarb danach bei seinen Brüdern in Berlin eine kaufmännische Ausbildung, wurde zunächst deren Geschäftspartner, stellte sich nach der Absolvierung seines Militärdienstes jedoch auf eigene Beine. Vorübergehend war er in Braunschweig, wo er seine spätere Frau kennenlernte, und Hamburg als Kaufmann tätig. 1887 emigrierte er nach Argentinien und wurde ein recht erfolgreicher sowie wohlhabender Fabrikant und Importeur.
Zu Beginn der 1890er Jahre beschäftigte er sich unter dem Eindruck der damals in Argentinien herrschenden Wirtschaftskrise mit ökonomischen Problemen und veröffentlichte dazu in der Folgezeit auch einige Schriften, in denen er seine Ideen darlegte. Diese fanden auch AnhängerInnen, die versuchten, die von Gesell formulierten Wirtschaftskonzepte und gesellschaftlichen Lebensformen praktisch umzusetzen.
1898 kehrte er nach Europa zurück, lebte zunächst in Weimar, ließ sich jedoch bald im schweizerischen Neuchâtel als Landwirt nieder. Nach einem nochmaligen Aufenthalt in Argentinien von 1906 bis 1911 trat er in die von seinen AnhängerInnen gegründete Genossenschaftssiedlung „Eden“ bei Oranienburg in Brandenburg ein.
Während des Ersten Weltkriegs zog er sich aber wieder auf sein Landgut in der Schweiz zurück, wo er seine zuvor schon in verstreuten Beiträgen formulierten Ideen zusammenfasste und 1916 in einem geschlossenen Werk unter dem Titel „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ veröffentlichte.
1919 im April war Gesell knapp eine Woche „Volksbeauftragter für das Finanzwesen“ der ersten bayerischen Räterepublik, wurde deswegen nach deren Ende wegen Hochverrats angeklagt, letztlich aber freigesprochen. Nachdem er als „unerwünschter Ausländer“ nicht mehr in die Schweiz zurückkehren konnte, ließ er sich in Rehbrücke bei Potsdam nieder, reiste 1925/25 nochmals nach Argentinien, blieb nach seiner Rückkehr 1927 mit seiner Frau jedoch endgültig in „Eden“.
Hier fand er nach seinem von der Öffentlichkeit kaum beachteten Tod am 11. März 1930 auch seine letzte Ruhestätte.
„Gesells theoretische Leistung ist aber mit dieser Stille um seinen Fortgang nicht abgetan, und wie bedeutungsvoll die Leistung war, wird dann erkannt werden, wenn sie in der Praxis erprobt werden wird.“ (Erich Mühsam)
Wenige Jahre später sollten sich diese Worte in Wörgl bewahrheiten!
Der Grundgedanke der ökonomischen Überlegungen in Gesells Hauptwerk ist denkbar einfach: die Ursachen wirtschaftlicher Not sind einerseits in der Bodenspekulation, andererseits in Strukturfehlern der Geldwirtschaft begründet. Beide Elemente können nämlich als Produktionsfaktoren zurückgehalten werden, wodurch eine Lähmung der Wirtschaft bewirkt wird. Um diese aber in Gang zu bringen, ist eine Zirkulation des Geldes vonnöten, die er durch die Einführung des „Freigelds“ gewährleisten wollte. Das Prinzip hinter einem solchen Geld besteht darin, dass es nach und nach an Nennwert verliert, also das Horten oder Sparen nicht mit Zinsen belohnt wird, sondern mit Verlusten einher geht. Deshalb wird der Besitzer des Geldes gezwungen, dieses schnellstmöglich wieder auszugeben oder zu investieren, wodurch fortwährend Nachfrage- und Beschäftigungsimpulse auf Produktion, Handel und Dienstleistungen wirken, die Beschäftigung dauerhaft gewährleisten.
Als Freiland bezeichnete Gesell das vergesellschaftete Eigentum an Boden, der dem Privatbesitz entzogen werden sollte. Stattdessen könne er zur privaten Nützung gepachtet werden, wobei die Einnahmen daraus Müttern zukommen sollten, um ihnen dadurch eine von ihren Männern unabhängige ökonomische Position zu ermöglichen.
Freigeld und Freiland sollten im Freihandel eine Ergänzung finden und in Gesells Vision von einer Freiwirtschaft verwirklicht werden, in der es keine Zinsen gäbe und keine Ausbeutung vorkomme.
Obwohl sich namhafte Ökonomen positiv und äußerst anerkennend zu Gesells Überlegungen geäußert haben, so meinte etwa John Maynard Keynes (1883-1946), dass die Welt mehr vom Geiste Silvio Gesells lernen werde als von Karl Marx, hat er mit seiner Idee einer „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ bzw. eines „antimarxistischen Sozialismus“ (bisher) kaum Beachtung gefunden.
Beschreibung:
Granitstein
Details
Gemeindename | Wörgl |
Gemeindekennzahl | 70531 |
Ortsübliche Bezeichnung | Meilensteine Wörgl - Silvio Gesell |
Objektkategorie | 1200 ( Kulturhistorische Natur- und Steindenkmäler | | ) |
Katastralgemeinde | |
Flurstücks- bzw. Grundstücksnummer | |
Ortschafts- bzw. Ortsteil | |
Straße und Hausnummer bzw. Flurname | Bahnhofsstraße |
Längengrad | |
Breitengrad |
Tirol: denkmalgeschützt | -- |
Höhe (m) | 0.4 |
gemessen od. geschätzt | gemessen |
Breite (m) | 0.6 |
gemessen od. geschätzt | gemessen |
Tiefe (m) | |
gemessen od. geschätzt | -- |
Zustandsklassifizierung | -- |
Falls sanierungsbedürftig od. ruinös: empfohlene Maßnahmen |
Beschreibung des Objekts (Deutung, Material und Technik) | Granitstein |
Bei besonderen Objekten: Beschreibung von Details |
Zeitkategorie | -- |
Ursprungsdaten, Chronik: (Zeit und Ursache der Errichtung bzw. Überlieferung, Namen der Urheber, Künstler bzw. Handwerker, Sanierungen) | Am 17. März 1862 wurde Silvio Gesell als siebtes Kind der Lehrerin Mathilde Gesell-Talbot und des Rentmeisters Ernst Gesell in St. Vith, rund 70 Kilometer nordwestlich von Trier, im heutigen Belgien, geboren. Hier verbrachte er seine Kindheit im Kreis der acht Geschwister. Mit 16 Jahren ging Silvio Gesell kurzzeitig zur Deutschen Reichspost, erwarb danach bei seinen Brüdern in Berlin eine kaufmännische Ausbildung, wurde zunächst deren Geschäftspartner, stellte sich nach der Absolvierung seines Militärdienstes jedoch auf eigene Beine. Vorübergehend war er in Braunschweig, wo er seine spätere Frau kennenlernte, und Hamburg als Kaufmann tätig. 1887 emigrierte er nach Argentinien und wurde ein recht erfolgreicher sowie wohlhabender Fabrikant und Importeur. Zu Beginn der 1890er Jahre beschäftigte er sich unter dem Eindruck der damals in Argentinien herrschenden Wirtschaftskrise mit ökonomischen Problemen und veröffentlichte dazu in der Folgezeit auch einige Schriften, in denen er seine Ideen darlegte. Diese fanden auch AnhängerInnen, die versuchten, die von Gesell formulierten Wirtschaftskonzepte und gesellschaftlichen Lebensformen praktisch umzusetzen. 1898 kehrte er nach Europa zurück, lebte zunächst in Weimar, ließ sich jedoch bald im schweizerischen Neuchâtel als Landwirt nieder. Nach einem nochmaligen Aufenthalt in Argentinien von 1906 bis 1911 trat er in die von seinen AnhängerInnen gegründete Genossenschaftssiedlung „Eden“ bei Oranienburg in Brandenburg ein. Während des Ersten Weltkriegs zog er sich aber wieder auf sein Landgut in der Schweiz zurück, wo er seine zuvor schon in verstreuten Beiträgen formulierten Ideen zusammenfasste und 1916 in einem geschlossenen Werk unter dem Titel „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ veröffentlichte. 1919 im April war Gesell knapp eine Woche „Volksbeauftragter für das Finanzwesen“ der ersten bayerischen Räterepublik, wurde deswegen nach deren Ende wegen Hochverrats angeklagt, letztlich aber freigesprochen. Nachdem er als „unerwünschter Ausländer“ nicht mehr in die Schweiz zurückkehren konnte, ließ er sich in Rehbrücke bei Potsdam nieder, reiste 1925/25 nochmals nach Argentinien, blieb nach seiner Rückkehr 1927 mit seiner Frau jedoch endgültig in „Eden“. Hier fand er nach seinem von der Öffentlichkeit kaum beachteten Tod am 11. März 1930 auch seine letzte Ruhestätte. „Gesells theoretische Leistung ist aber mit dieser Stille um seinen Fortgang nicht abgetan, und wie bedeutungsvoll die Leistung war, wird dann erkannt werden, wenn sie in der Praxis erprobt werden wird.“ (Erich Mühsam) Wenige Jahre später sollten sich diese Worte in Wörgl bewahrheiten! Der Grundgedanke der ökonomischen Überlegungen in Gesells Hauptwerk ist denkbar einfach: die Ursachen wirtschaftlicher Not sind einerseits in der Bodenspekulation, andererseits in Strukturfehlern der Geldwirtschaft begründet. Beide Elemente können nämlich als Produktionsfaktoren zurückgehalten werden, wodurch eine Lähmung der Wirtschaft bewirkt wird. Um diese aber in Gang zu bringen, ist eine Zirkulation des Geldes vonnöten, die er durch die Einführung des „Freigelds“ gewährleisten wollte. Das Prinzip hinter einem solchen Geld besteht darin, dass es nach und nach an Nennwert verliert, also das Horten oder Sparen nicht mit Zinsen belohnt wird, sondern mit Verlusten einher geht. Deshalb wird der Besitzer des Geldes gezwungen, dieses schnellstmöglich wieder auszugeben oder zu investieren, wodurch fortwährend Nachfrage- und Beschäftigungsimpulse auf Produktion, Handel und Dienstleistungen wirken, die Beschäftigung dauerhaft gewährleisten. Als Freiland bezeichnete Gesell das vergesellschaftete Eigentum an Boden, der dem Privatbesitz entzogen werden sollte. Stattdessen könne er zur privaten Nützung gepachtet werden, wobei die Einnahmen daraus Müttern zukommen sollten, um ihnen dadurch eine von ihren Männern unabhängige ökonomische Position zu ermöglichen. Freigeld und Freiland sollten im Freihandel eine Ergänzung finden und in Gesells Vision von einer Freiwirtschaft verwirklicht werden, in der es keine Zinsen gäbe und keine Ausbeutung vorkomme. Obwohl sich namhafte Ökonomen positiv und äußerst anerkennend zu Gesells Überlegungen geäußert haben, so meinte etwa John Maynard Keynes (1883-1946), dass die Welt mehr vom Geiste Silvio Gesells lernen werde als von Karl Marx, hat er mit seiner Idee einer „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ bzw. eines „antimarxistischen Sozialismus“ (bisher) kaum Beachtung gefunden. |
Chronik - allfällige Ergänzungen: (z.B. Sagen, Legenden, Überlieferungen ausführlicher) |
Informationsquellen, Literatur und weitere Quellen | Silvio Gesell, Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, Hochheim 71931 (1. Aufl. 1916); Internationale Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung (Hg.), Silvio-Gesell-Ausstellung. Katalog, zusammengestellt von Werner Onken, Hann.Münden 1988; Helge Hesse, Ökonomen Lexikon. Politiker, Unternehmer, Denker der Wirtschaftsgeschichte in 600 Porträts, Darmstadt 2003, S. 125/126. |
Datum der Erfassung | 2019-11-30 |
Datum der letzten Bearbeitung | 2020-01-07 |
letzter Bearbeiter | kuf woergl |